Sensorische Integration

 

Was bedeutet Sensorische Integration (SI)?

Stellen Sie sich vor in eine saftige, tiefrote, nach Sommer duftende Wassermelone zu beißen. Dabei werden mehrere Sinne angeregt:

  • Mit den Augen nehmen Sie das ansprechende Rot der Frucht wahr.

  • Über die Nase erreicht Ihr Gehirn der fruchtige Duft.

  • Über die Haut spüren Sie die glatte, kalte Schale und das feuchte, raue Fruchtfleisch.

  • Mit den Geschmacksknospen auf der Zunge nehmen Sie das Süße und Erfrischende auf.

  • Die Tiefenwahrnehmung der Mundmuskulatur ermöglicht es Ihnen das Fruchtfleisch zu

    zerkleinern und schließlich zu schlucken.

All diese Eindrücke werden in unserem Gehirn zu einem sinnvollen Ganzen verknüpft und als Erfahrung abgespeichert, also sensorisch integriert.

Ein Grundstein der Sensorischen Integrationstheorie legte die Entwicklungspsychologin Dr. Jean Ayres. Sie hat sich gefragt, wie sensorische Informationen im zentralen Nervensystem integriert werden und in der Folge Lern- und Verhaltensprozesse bestimmen. 

„Zunächst definierte Ayres den Prozess der sensorischen Integration als die Fähigkeit, Sinneseindrücke zu ordnen, um sie sinnvoll nutzen zu können“ (Fisher/Murray 2002, 4).

Später erweiterte Ayres diese Definition:

„Unter sensorischer Integration versteht man jenen neurologischen Prozess, bei dem vom eigenen Körper und der Umwelt ausgehende Sinneseindrücke geordnet werden, und der es dem Menschen ermöglicht, seinen Körper innerhalb der Umwelt sinnvoll einzusetzen“ (Ayres 1989, 11 zit. nach Fisher/Murray 2002, 4).

 

Was zeichnet eine SI-Behandlung aus?

Zu Beginn einer sensorischen Integrationsbehandlung werden immer diejenigen Vorausläuferfähigkeiten untersucht, welche für die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten nötig sind, in denen das Kind auffällig erscheint. Fehlende Vorausläuferfähigkeiten werden angebahnt.

Die sensorische Integrationsbehandlung ist demnach keine Symptombehandlung.

Vielmehr stellt sie die Weichen für Verknüpfungen und bildet die Basis zum Lernen. Zum Beispiel sind manche Kinder, die hyperaktiv erscheinen, ein aggressives und störendes Verhalten zeigen und große Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme haben, unterempfindlich in der vestibulären oder propriozeptiven Verarbeitung.

Gezielter propriozeptiver Input in der Therapie hilft diesen Kindern, ihre Selbstregulation zu verbessern und ihre Aufmerksamkeit wird frei für Lernprozesse.  

Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes zum Erwachsenwerden ist der Inner Drive. Für die Therapie stellt er ein sehr wichtiges Merkmal dar, da durch ihn das Kind für Lernsituationen erst motiviert wird.

Ein wesentliches Ziel der Behandlung ist immer, den Inner Drive zu wecken. Dies wird möglich, indem Situationen provoziert werden, in denen das Kind Erfahrungen macht, auf die es sinnvoll reagieren kann.

Außerdem wird der Inner Drive geweckt, wenn es in der Therapie gelingt, die Kinder neugierig auf etwas zu machen. Dies löst immer Spaß aus und „in gewissem Sinne ist Spaßhaben ein Inbegriff für gute sensorische Integration des Kindes“ (Ayres, 1992, 9).

Die sensorische Integrationsbehandlung sieht eine ideale Lernsituation dann als gegeben an, wenn das Kind als aktiver Handlungspartner im Lerngeschehen mit einbezogen wird. „Denn die Therapie ist dann am wirksamsten, wenn das Kind seine Handlungen selbst bestimmt [...]“ (Ayres 1992, 196).

In der sensorischen Integrationsbehandlung geht es nicht um die Verbesserung mangelhaft ausgeprägter Funktionen. Vielmehr erlangt das Kind durch die Behandlung „grundlegende, auch auf andere Situationen übertragbare Handlungsfähigkeiten, erkennbar an gesteigerter Problemlösefähigkeit und resultierender Selbstsicherheit“ (Schaefgen 2007, 40).

„Die Handlung selbst verkörpert Verstärkung und Belohnung, sodass Belohnung von außen nicht nötig ist“ (Schaefgen 2007, 39).

Für die Sprachtherapie ist dieses Merkmal von großer Bedeutung. Erlangt das Kind höhere Handlungskompetenzen, vergrößert sich auch sein kreatives Potential und dies macht sich immer auch in seiner Ausdrucksweise bemerkbar.

Wie kann SI in der Kindersprachtherapie eingesetzt werden?

Als Sprachtherapeut:innen machen wir keine reine Sensorische Integrationsbehandlung. Vielmehr integrieren wir sprachtherapeutische Kontexte in ein Setting mit sensorisch-integrativen Behandlungselementen. Ziel ist es, eine große Vielfalt an Wahrnehmung und Bewegung ins Spiel zu bringen und dabei den Gewinn für die Sprache aufzuzeigen.

Die hohe Kunst der Behandlung ist, Elemente der Sensorischen Integrationstherapie sorgfältig für jedes einzelne Kind auszuwählen und mit gezielten Aktionen Lernsituationen zu schaffen, in denen sprachtherapeutische Inhalte eindringlich, lebendig, lustvoll, eigenaktiv und immer handlungsorientiert eingebettet sind.  

Das Wissen über die Sensorische Integrationstherapie ermöglicht darüber hinaus eine fachkundige interdisziplinäre Arbeit, eine fundierte Ursachenrecherche sprachtherapeutischer Störungsbilder und eine ganzheitliche und ressourcenorientierte Elternberatung.

Quellen

Ayres, A. J. (1992): Bausteine der kindlichen Entwicklung. Die Bedeutung der Integration der Sinne für die Entwicklung der Sinne. 2. Aufl., Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, ect..

Fisher, A.G.; Murray, A. (2002): Einführung in die Theorie der Sensorischen Integration. In: Fisher, A. G.; Murray, E. A.; Bundy, A. C.: Sensorische Integrationstherapie. Theorie und Praxis. 2., durchges. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York ect., 3-42.

Schaefgen, R. (2007): Praxis der Sensorischen Integrationstherapie. Erfahrungen mit einem ergotherapeutischen Konzept. Thieme Verlag Stuttgart.